Die Fälschung

Höhle / Cave (c) Samantha Groenestyn

Nelson Goodman (1976: 102) fragt sich, warum es einen ästhetischen Unterschied zwischen einem Gemälde und einer Fälschung gibt, ein Problem das unter den Künste spezifisch für die Malerei zu sein scheint. In der Abwesenheit eines (gegenwärtigen, aber vielleicht erreichbaren) wahrnehmbaren Unterschieds, verlangt er einen Erkenntnisgrund, vom Ursprungs des Kunstwerks, von der Herstellung von der Hand des Künstlers (Goodman, 1976: 104; 106; 116). Diese Erkenntnis soll eine grundlegende sein; sie fällt nicht ins der Augen von allen, die das Werk beobachten. Goodman will den Wert des Bildes retten, wo die Wahrnehmung scheitert und wo die Fälschung einen Anspruch auf Wert zu nehmen bedroht. Dagegen verteidige ich die Wahrnehmung: Der Beweis den wir verlangen liegt doch an der Oberfläche, in der Zugehörigkeit (oder dem Mangel davon) eines Bildes zu einem körperlich ausgedachten Gedankengang. Die Frage von Goodman ist schlecht gestellt; ich lege sie so neu dar: Worin liegt die Fälschung in der Malerei? Eine Untersuchung des umstrittenen Themas der Ähnlichkeit begleitet uns zur Antwort, dass die Fälschung in der Unterbrechung eines Vorgangs liegt, nicht bloß in der falschen Zuschreibung der Identität des Urhebers.

Die Ähnlichkeit, spottet Goodman (1972: 437), ist ein falscher Freund. Sie erklärt weder Identität noch Unterschied. Zwei ähnliche Dinge sind nicht gleich, und deren gemeinsamen Einzelheiten bieten keinen systematischen Grund an, jene Dinge zusammenzufassen. Wenn zwei Gemälde ähnlich scheinen, begegnen wir einem eigenartigen Problem, indem wir wissen, oder wir verlangen, dass sie trotzdem verschiedene Werke sind. Ein Musikstück, im Gegenteil, oder ein literarisches Werk, wird nicht bloß als ähnlich mit weiteren Instanzen von sich selbst beschrieben, sondern als gleich (Goodman, 1976: 112). Solche Werke sind daher duplizierbar: die unzählbaren Instanzen davon werden als echt gerechnet; zwar, als dasselbe Werk. Ein Gemälde erlaubt keine solche Wiederholung; die Begriffe ,Duplikat’ und ,Replikat’ sind in diesem Bereich unzulässig (Goodman, 1978: 49). Das Gemälde gehört dementsprechend zu einer Klasse von Kunstwerken, die einzeln sind: Jedes Bild ist ein selbständiges und einzigartiges Kunstwerk. Eine ,Kopie’ im Bereich der Malerei hat also einen ganz anderen—insbesondere einen negativen—Status. Obwohl unabhängig, ist die Kopie als ein degradiertes Werk betrachtet, deren Ähnlichkeit zu einem Anderen ihren minderwertigen Status sichert.

Nach Palma Vecchio

Die Künste trennen sich deshalb ins zwei Kategorien, die Goodman (1976: 113) ,allographisch’ und ,autographisch’ nennt. Ein Kunstwerk wird als autographisch betrachtet wenn und nur wenn die genaueste Duplizierung davon nicht als genuin zählt. Allographische Kunstwerke lassen sich multiplizieren; Stefan Zweig, zum Beispiel, muss nicht jedes Buch selbst drucken, um zu sichern, dass das Werk ihm gehört. Goodman (1976: 114-115) erprobt eine Erklärung, die von Einphasigkeit oder Mehrphasigkeit abhängig ist: Ob ein Werk, zum Beispiel, eine Phase des Schreibens und eine des Spiels verlangt. Die Trennung ist aber nicht ohne Komplikationen, wie er selbst erkennt (Goodman, 1976: 115). Ein Buch muss nicht notwendig vorgelesen, nicht einmal gelesen werden, wie ein Musikstück gespielt werden muss. Allographische Werke benötigen weitere Phasen hauptsächlich weil die flüchtig und nicht von einer Person hervorbringbar sind. Er trifft auf die Ausnahme der Radierung, welche nicht einzigartig erscheint, und doch mehrphasig ist. Der Unterschied lässt sich also nicht durch Ein- oder Mehrphasigkeit erklären.

Selbst Goodmans Unterschied scheint eher die Körperlichkeit eines Werks zu implizieren. Ein allographisches Werk scheint in etwas Unkörperlichem zu bestehen, das Werk selbst ist unabhängig vom flüchtigen physischen Medium, in welchem es aufgenommen ist. Ein autographisches Werk scheint genau in seiner Ausdehnung zu bestehen, in der Prägung der Hand der Künstlerin. Auch die Musik erfüllt nicht die Bedingung der Körperlichkeit. Die Töne schallen, sie stimulieren die Sinne, sind aber ungreifbar, nicht festhaltbar. Ein physisches Zeichen ist auf die Hand der Künstlerin zurückführbar; ein Wort oder eine Note (außer der Stimme der Künstlerlin selbst) nicht. Eine Radierung ebenso, würde ich behaupten. Eine Radierung ist nicht allein durch den Kupferstich vollkommen. Ein Druck den Rembrandt von seinem eigenen Kupferstich anfertigt, hat besondere Eigenschaften, die einem Druck von der Hand eines Anderen fehlen; viele technische Entscheidungen bleiben beim Auftragen von Tinte, im Aufreiben davon, in der Bewegung der Hand, die die Tinte aufträgt. Ein Druck von der Hand eines Anderen ist keine einfache Duplizierung, auch wenn es keine Fälschung ist. Der Mangel liegt woanders.

Die drei Hütten, Zustand I (von Rembrandt selbst gedruckt)

Die drei Hütten (Von Bretherton gedruckt)

 

Laut Goodman (1976: 116) ist es genau diese Verbindung zur Hand des Künstlers die wir identifizieren müssen, um den Ursprung und deshalb die Identität des Werks zu bestimmen. Mit allographischen Werken ist der Ursprung über einen anderen Weg identifizierbar: durch die entsprechende Notation. Gemeinsam mit den allographischen Werke ist das Mittel, sie zu notieren; sie zu buchstabieren (Goodman, 1976: 115). Die von der Buchstabierung zugelassene syntaktische Ersetzbarkeit sichert die Unabhängigkeit eines allographischen Werks von seinem Urheber, was für autographische Werke nicht möglich sein soll, welche Hand-abhängig bleiben (1976: 195). Obwohl die Buchstaben eine physische Form nehmen, hängt ihre Duplizierung nicht von dieser Form ab. Verschiedene Manifestierungen, in verschiedenen Schriftenarten und Handschriften, behalten eine formlose syntaktische Identität.

Dagegen erörtert Merleau-Ponty (1966 [1945]: 181), dass auch die physikalische Manifestierung eines Gedichts für das Gedicht wesentlich ist, dass auch ein Gedicht keine freischwebende, unkörperliche Form hat: ,Doch wenn es sich auch von unserer vitalen Gestikulation loslöst, so löst das Gedicht sich doch nicht von jederlei materiellem Grund, es ist unrettbar verloren, wenn sein Text nicht genau bewahrt ist; seine Bedeutung schwebt nicht frei im Himmel der Ideen: sie ist eingeschlossen in die Wörter auf irgendeinem Stück Papier.’ Das Gedicht, behauptet Merleau-Ponty, wie jedes anderen Kunstwerk, existiert als ein Ding, es ist von seinem Ausdruck untrennbar (1966: 181). Die Auffassung Merleau- Pontys zeigt allerdings nicht, dass ein Gedicht nicht duplizierbar wie ein Gemälde ist. Im Gegenteil eröffnet sie einen Weg zu argumentieren, dass ein Gemälde, wie ein Gedicht, kein geschlossenes Ding ist. Was Merleau-Ponty identifiziert und in Frage stellt, ist das platonische Vorurteil, dass alles Sichtbare auf einem perfekten Ideal abhängt, dass alle Ähnlichkeiten zu einem Urbild zusammenlaufen versuchen (Platon, Tim. 28a). Wenn alle Kunstwerke stattdessen ununterscheidbar von der Art des Ausdruck sind, und deshalb untrennbar davon, laufen sie eher zu was anderem als zu einer formlosen Idee zusammen. Laut Merleau-Ponty (1966: 181) sind alle Kunstwerke Individuen, Formen des Seins. Sie sind zugleich lebendig und auf irgendeine Weise körperlich ausgedrückt.

Nach Käthe Kollwitz

Die Identität bleibt für Goodman wesentlich, ob ein Kunstwerk autographisch oder allographisch ist. Wir benötigen zuerst, sagt er, eine Theorie, um die täuschende Ähnlichkeit zwischen Kunstwerken zu navigieren (Goodman, 1972: 439). Es steht daher ein im Kunstwerk tief verborgenes Stück von Erkenntnis hinter der äußerlichen Ähnlichkeit, nämlich die Erkenntnis des Ursprungs eines Werkes, die Bestätigung der Abstammung zwischen einem Werk und dessen Urheber, was demzufolge dessen Wert bestätigt. Die notwendige Theorie ist also für Goodman die der Identität, und eine Notation ist das sicherste Mittel, um die Identität eines Werks zu bestätigen. Diese genealogische Bedingung ist sogar die primäre Funktion einer Notation wie der Partitur (Goodman, 1976: 127-128). Seine Theorie will nur bestätigen, dass dieses in diesem Musiksaal gespielte Stück ursprünglich von Chopin konzipiert war; sie sucht nur dieses Gemälde in der Galerie mit Tizian zu verknüpfen. Nachdem wir die Verknüpfung beweisen, dürfen wir ein Urteil bezüglich des Werts des Werks fällen und die Fälschung demgemäß beiseitelegen.

Diese Betonung auf Urheberschaft wird aber nicht zurecht erfordert. Ein vollkommenes Ergebnis, ein vollständiges und regungsloses Produkt wird mit einem Autor fest verbunden, mit einem stillstehenden Informationsstück mit welchem wir den Wert des Werks gleichsetzen. Dieses Bild sieht wie ein Tizian aus; es ist aber nur wertvoll, wenn es wirklich von Tizian gemalt wurde. Wir lassen die Möglichkeit nicht zu, dass ein ähnliches Bild aufgrund seiner eigenen Vorzüge bestehen kann. Das scheint mir aber nicht ganz richtig: Rubens, zum Beispiel, konnte eine Kopie von Tizian malen, die nicht weniger wertvoll ist (die vertretbarerweise sogar eine Verbesserung ist), und nicht nur weil wir schon den Namen von Rubens und alle dazugehörigen Werke schätzen. Laut Goodman (1976: 195) kann ein Gemälde, als zu einer Notation ungeeignet, nicht von seinem Urheber befreit werden. Obwohl für Goodman jedes Gemälde einzigartig ist, ist es nicht unabhängig; es steht nicht für sich selbst, sondern für einen Maler. Allein ist es nichts; es muss Verweis auf eine Person machen.

Nach Van Dyck

In diesem Sinne ist die Auffassung Goodmans strikt platonisch. Für Platon (Tim. 28a) macht jede Kopie einen Verweis auf etwas Unendliches, auf ein Ideal. Ein Bild umkreist ein Urbild. Weitere Instanzen—wohl alles Sichtbare—können keine Selbständigkeit haben; sie greifen schwach nach dem sie definierenden Modell (Platon, Tim. 28a-c). Ebenso greift jedes Kunstwerk nach seiner Identität, nach seinem Urheber, ob durch eine Notation oder unmittelbar. Das von Goodman verlangte Verhältnis setzt eine innerliche, geistliche Ähnlichkeit voraus—gewiss die stärkste Ähnlichkeit: Identität. Identität ist nicht an der Oberfläche bemerkbar und nicht der Wahrnehmung zugänglich, sie muss gesucht, entdeckt, enthüllt werden. Sie ist die Entsprechung eines Dinges mit einer Idee. Goodman, wie Platon, verlangt das Zusammenlaufen auf einen feststehenden und bewegungslosen Punkt: Auf ein ewig Seiendes (Platon, Tim. 29b; 57e).

Die Anklage Goodmans gegen die Ähnlichkeit spiegelt die uralte Klage Platons (Soph. 259d-e) wider, dass die Trennung überhaupt eine Grausamkeit ist, dass sie nicht dem philosophischen Geist würdig ist. Die Ähnlichkeit breitet sich stark aus, unendlich, ohne System und ohne Regel. Gemeinsame Einzelheiten bestimmen eine Klasse nicht: Ähnlichkeit zwischen zwei Einzelheiten sichert keine gemeinsame Eigenschaft durch die ganze Gruppe. Jedes Mitglied in der Gruppe [rb by yr] teilt etwas mit den anderen, ohne dass alle drei einen Eigenschaft teilen (Goodman, 1972: 442-3). Überdies, schreibt Goodman (1972: 443), haben irgendwelche zwei Dinge genau so viele Eigenschaften als irgendwelche andere zwei gemeinsam, also entscheidet die Summe von gemeinsamen Eigenschaften nichts. Die Ähnlichkeit suggeriert kein System, ein Faden kann immer unterschiedlich durchgewebt werden, und die Ähnlichkeiten die wir merken, hängen vom Kontext ab, der immer wechselnd und eigentlich von uns hervorgebracht ist (Goodman, 1972: 444-6). In einem Fall verknüpfen wir nach Geschlecht; in einem anderen verknüpfen wir nach Klasse. Vergeblich suchen wir nach einem definierenden Muster in diesem ständig sich erweiternden Chaos. Vernunft fordert Ordnung, und Ordnung ist (laut Platon, Soph. 259e) nur durch die Vereinigung von klaren Begriffen möglich. Und weil diese Vereinigung nicht Ähnlichkeit sein kann, muss sie im Voraus bestimmt werden, auf einem immobilen Kern.

Nach Rubens

Was, wenn wir auf so einen Kern verzichten? Wenn wir die Behauptung von Merleau-Ponty aufgreifen, dass ein Kunstwerk—ob Gedicht, Gemälde, Musikstück, oder was anders—kein statisches Produkt ist, sondern ein lebendiges Dasein? Anstatt des finalen Resultats der Tätigkeit einer bestimmten Hand gestehen wir zu, dass der Sinn dieses Werks aus einem breiteren Sinn entnommen ist (Merleau-Ponty, 1966: 181). Das Werk nimmt an einer Seinsweise teil, es schenkt einem kleinen Stück von der Begegnung der Künstlerin mit der Welt Form, es verewigt eine kleine Ecke von Erfahrung (Merleau-Ponty, 1966: 181). Als solch ein belebendes und multiplizierendes Lebewesen weigert es sich, sich dem platonischen Seienden zu beugen. Es bestätigt seine unbestimmte Natur, seinen unvollkommenen Zustand, die Grobheit seiner Kanten, welche zur Möglichkeiten offen erbleiben, es bestätigt die unaufhörliche Bewegung, die das Verhältnis zwischen irgendwelchen zwei Punkten ist—kurz gesagt: ein Kunstwerk gehört zum Werdenden (Platon, Tim. 29b; 52a; Pol. 597a-c; 605a). Platons (Soph. 234b-c; 235d-e; 236a-c; Tim. 27c; 28b-c; 57d; 70d;) Kategorie von Verlagerung und Veränderung, von allem, das uns und unsere Seele bewegt, was unsere Gefühle rührt und unsere innige Stille zerstört, ist seit langem für die Künste und für Bilder, wohl, für alles Sichtbares reserviert, sogar für die schöne Welt selbst, die bleibt, bei der Auffassung Platons, ein unvollkommenes Bild von einer vollständig abstrakten Welt des Absoluten.

Solch ein unbestimmtes Dasein verneint eine gleichbleibende Identität; es strebt nach keiner Erkenntnis, sondern nach der Offenheit der Welt selbst. Die Verhältnisse die wir suchen, sind keine Verweise vom Bild zum Urbild, sondern wechselnde Beziehungen zwischen Dingen an der Oberfläche der Welt. Diese Einstellung ist jene von Deleuze (1993 [1969]: 311) verlangte, wann er uns ermahnt, ,den Platonismus umzukehren.’ Indem wir das Werdende als etwas Positives bestätigen, stellen wir die platonische Welt auf den Kopf und fliehen vor der Tyrannei der abstrakten Idee. Wir verschmähen die geistige Tiefe und ergreifen die Oberfläche. Der Künstler, seit langem als Heuchler wegen ihrer degradierten Kopien—dreifach vom Urbild entfernt—dargestellt, und deshalb mit dem Sophisten als ein Hersteller von Falschheit beurteilt, muss das Simulakrum verteidigen (Platon, Soph. 234b- c; Pol. 597e; Deleuze, 1993: 317).

Nach Veronese

Und das kann sie tun, indem sie erkennt, dass Platon das Simulakrum fehlgedeutet hat. Auch Platon (Pol. 597b; 601d) unterscheidet zwischen Ebenbilder und Trugbilder: ein Ebenbild, auch wenn es eine verarmte Kopie von der Idee bleibt, sieht er trotzdem als einen ,wohlbegründete Bewerber,’ der die ,konstitutiven Beziehungen und Proportionen des inneren Wesens’ zu bewahren versucht, nämlich die innerliche und geistliche Ähnlichkeit (Deleuze, 1993: 314). Platon will den Sieg vom Ebenbild über Trugbild sichern (Deleuze, 1993: 314). Aber genau in diesem falsch charakterisierten Unterschied findet die Malerin ihren Spalt. Behauptet Deleuze (1993: 314): Platon selbst zeigt uns die Richtung, Platonismus umzukehren, weil das Simulakrum kein Trugbild ist. Es stellt in Frage eher das Model-Kopie Verhältnis überhaupt.

Das Simulakrum ist keine immer vom Model entferntere Kopie, wie Platon (Pol. 597a-c) versucht durch das Beispiel des Tisches aufzuzeigen (Deleuze, 1993: 315). Ein gemalter Tisch, laut Platon, ist höchst täuschend, und deshalb notwendig fragwürdig motiviert; er ist eine bloße Erscheinung, die nichts dient. In der Tätigkeit der Herstellung eines gemalten Tisches, stellt sich die Malerin als Sophist—Hersteller von falschen Erkenntnis—hin, der ebenso alles abbilden kann, der nur die Erscheinung alles zu wissen kultiviert (Pol. 511d-e; 598a; 602a). Laut Platon bezeichnet die Malerin Objekte, von deren Mechanik sie überhaupt nichts versteht, genau wie der Sophist Argumente zusammenkettet, um überzeugend zu scheinen, ohne echtes Verständnis zu besitzen. In beiden Fällen ist die Wahrheit nebensächlich; die tiefliegende Erkenntnis bleibt noch verborgen. Die Ähnlichkeit von Bildern und von Argumenten mit ihren ursprünglichen Ideen ist trügerisch, weil sie bloß äußerlich ist. In der Abwesenheit von innerlicher Ähnlichkeit nimmt das Bild naturgemäß einen Mantel von äußerlicher Ähnlichkeit an, um seine Lüge zu verbergen.

Nach Sowjetischen Bildhauerei

Das mag wohl für eine Kopie stimmen, die einen Verweis auf etwas zu machen versucht, so Deleuze (1993: 315). Ein Ebenbild versucht diese innere Identität, dieses unsichtbares Stück Erkenntnis, körperlich darzustellen. Die Versuche der Kubisten, Dinge zu malen, ,wie sie sind, das heißt: anders als wir sie sehen,’ eine tiefliegende und gedankliche Wirklichkeit vom Sichtbaren zu abstrahieren, könnten dementsprechend als Ebenbilder verstanden werden (Rivière, 1966 [1912]: 82; Gleizes und Metzinger, 1988 [1912]: 37-38; Platon, Pol. 598a). Die Kubisten kleben an der reinen Idee von einem Ding, und erproben, diese Idee unvollkommen durch ein inadäquates Mittel nachzubilden. Sie bleiben daher von Platon bezaubert. Ein Trugbild erweckt den Anschein, dass es ebenso dieses Verhältnis bewahrt. Deleuze aber greift die Verfeinerung Platons vom Bild auf und hebt eher das Simulakrum an: Für das Simulakrum ist das Ziel etwas völlig anderes. Das Simulakrum ahmt ungeniert nur an der Oberfläche nach, und zwar ganz zufällig: Es ist eigentlich auf einer Disparität gebaut (Deleuze, 1993: 319). Kein Verhältnis bindet das Simulakrum an das Modell, es macht keinen Verweis darauf; es existiert nur in der Verhältnissen, die sich auf der Oberfläche der Welt ausbreiten. Das Werdende wächst unendlich und Reihenweise, und stellt Modell und Kopie zugleich infrage (Deleuze, 1993: 2; 314). ,Alles kehrt jetzt zur Oberfläche zurück’ (Deleuze, 1993: 7).

Das heißt, wir berufen uns absichtlich auf Ähnlichkeit, wir betonen keinen Versuch nach Gleichheit, keine tiefe Identität die äußerlich misslungen ist, sondern eine ausdrückliche Variation, ein Abrücken. Jede Ähnlichkeit spricht für sich selbst und verkündet seine eigene Stellung. Ähnlichkeit sucht nicht nach Gleichheit und Ruhe, sondern nach Verschiedenheit und Bewegung. Foucault schreibt (1974 [1973]: 25): ,Mittels der Gleichheit wird sichtbar gemacht, durch den Unterschied hindurch wird gesprochen.’ Darunter steht nichts: Goodman hat recht, dass die Suche nach reihenweiser Synthese künstlich und vergeblich ist. Er findet in der Ähnlichkeit einen falschen Freund weil er nicht erkennt, dass die Freundschaft sich in einer offenen Ankündigung von Disparität zeigt. ,Nur was sich ähnelt, differiert,’ erklärt Deleuze (1993: 320)—sonst stellen wir uns der Identität. Ohne irgendeine tiefliegende Verbindung zwischen zwei ähnlichen Dingen sind wir gezwungen, an der Oberfläche zu verweilen, und genau diese Abwesenheit zu beobachten. ,Diese Abwesenheit steigt sogar an ihrer Oberfläche empor und kommt im Gemälde ans Tageslicht’ (Foucault, 1974: 36).

Laut Foucault (1974: 40) zeigt Magritte genau diese Unterschied zwischen similitude und Ähnlichkeit mit seiner Pfeife. Sein kalligraphisches Spiel zwischen Bild und widersprüchlichen Wörtern—,dies ist keine Pfeife,’ wo das Bild sicherlich eine Pfeife darstellt, auch wenn es keine rauchbare Pfeife ist—zieht unsere Aufmerksamkeit auf das ,Ist’. ,Ist’ bezeichnet eine Verhältnis, und Magritte spielt mit der Zweideutigkeit dieses Verhältnisses, und auf zwei Ebenen. Erst ist es nicht klar, ob ,dies’ auf den Text oder das Bild hinweist (Foucault, 1974: 19-20). Text und Bild scheinen austauschbar, beide scheinen in einer eigenen Weise eine Pfeife darzustellen; sie scheinen nämlich entweder wörtliche oder visuelle Äquivalenzen von Pfeifen zu sein, bis wir den beiden zusammen begegnen und deren unlösbaren Konflikt betrachten. ,Das Bild und der Text fallen je auf ihre Seite, gemäß der ihnen eigenen Schwerkraft,’ beobachtet Foucault (1974: 20). Sie teilen keinen gemeinsamen Ort, überlappen sich nicht, weder auf dem Blatt mit seinem unüberbrückbaren weißen Raum noch in ihrer Funktion.

 

Und dies ist die zweite Ebene: Das Wort macht einen Verweis, es übernimmt den Platz des Dings selbst, es reicht als eine Substitution dafür. Das Wort nimmt eine funktionierende Äquivalenz oder Identität an. Dieses Verhältnis, diese buchstäbliche ,ist’, benennt Foucault (1974: 42) ,Ähnlichkeit’, welche verkündigt: ,Dies und das und das auch noch—das ist jene Sache.’ Das Bild, im Gegenteil, steht in einem völlig andere Verhältnis zur Pfeife. Es muss auf keine echte Pfeife verweisen, auch nicht auf die Idee einer Pfeife überhaupt. Es hängt sich von keiner unkörperlichen Modell von Pfeifen überhaupt. Wenn wir nichts von Pfeifen wüssten, würde das Bild unabhängig davon bestehen. Das Bild ist keine Pfeife, sondern es ist eine weitere Bestätigung von Pfeifen, körperlich anders als alle ähnlichen Pfeifen und Pfeifenbilder, die reihenweise und horizontal und wildwachsend sich ausbreiten, jede eine neue und selbständige und körperliche Bejahung in der Welt. Diese similitude bestätigt sich und jubelt in der von Deleuze beschriebene Disparität; sie ,entfaltet sich in Serien, die weder Anfang noch Ende haben,’ sie besteht in einem unbestimmten und umkehrbaren Verhältnis (Foucault, 1974: 40). Alice, schreibt Deleuze (1993: 1-2), wächst und schrumpft zugleich: Das Werdende, seiner Natur nach, ist ständig bewegt und erreicht nie das Ziel. Es tanzt horizontal über die Oberfläche der Welt, in alle Richtungen gleichzeitig (Foucault, 1974: 42). Was Foucault ,die Ähnlichkeit’ nennt, entspricht eher dem platonischen Impuls, nach einer festen Identität zu suchen: Sie ,ordnet sich dem Vorbild unter, das sie vergegenwärtigen und wiedererkennen lassen soll’ (Foucault, 1974: 40). Ein Bild macht keinen solchen wörtlichen—propositionalen—Verweis auf irgendeinem Modell. Deshalb ist ein Bild nicht in demselben Sinn wie ein Wort ,abbildlich.’ Es lehnt das ,Ist’—die Äquivalenz—ab.

Die Ähnlichkeit zeigt dennoch eine Verbindung an, oder, besser gesagt, die Variationen der Ähnlichkeit sind die Resultate einer Form von Kontinuität. Die von Goodman vorgeschlagene Stammlinie zwischen Kunstwerk und Urheber ist aber zu einfach für diese Verbindung. Gewiss bleibt der Urheber wichtig, nicht aber als statischer Identifikationspunkt, nicht als ein bloßer Name oder vertrautes Etikett. Der Urheber ist viel mehr: Im Hervorbringen eines Kunstwerks ist der Locus eines Vorgangs. Die Verbindung, die wir suchen ist genau den Denkprozess eines Künstlers, der ein Kunstwerk ausdrücklich zu ,ein[em] Knotenpunkt lebendiger Bedeutungen’ macht (Merleau-Ponty, 1966: 182).

Und noch weiter: obwohl jedes Bild seine Verschiedenheit und in diesem Sinn seine Eigenständigkeit versichert, als Teile eines zusammenhängenden Denkprozesses können wir behaupten, dass mehrere Bilder zu einem Kunstwerk gehören. Gemälde sind nicht in demselben Sinn wie Musikstücke duplizierbar; die sind aber nicht so einzigartig wie üblicherweise angenommen. Die Malerin macht keine so starke Trennung zwischen jeden Skizze, während sie durch einen einzigen Cluster von Ideen arbeitet. Mit ihrer Hand untersucht sie mehrmals dieselbe Idee, erst von dieser Seite und dann von einer anderen Seite; sie erforscht diese Idee in einer kontinuierlichen Gedankenlinie, auf der Suche nach einer adäquateren körperlichen Instanziierung davon.

So einen Gedankenprozess können wir in einer Reihe von Skizzen von, zum Beispiel, Édouard Vallet beobachten. Im Katalog ist jede Skizze individuell nummeriert und benannt: ,80. Paysannes se reposant’, ,81. Jeune Valaisannes se reposant’, ,82. Jeunes femmes se reposant’, ‘88. Femmes couchées’, bis zum endgültigen Gemälde, ‘92. Femmes endormies’ (De Wyder, 1976: 66-75). Für den Kataloghersteller steht jedes Bild ewig in seiner Vollkommenheit als ein Werk; für Vallet dagegen ist jedes Bild ein Schritt, eine Bewegung, eine flüchtige Begegnung mit der Welt. Er reist, wie Alice, hin und her, er überdenkt diese Skizzen in keiner festen Folge (Deleuze, 1993: 1). Seine Gedanken sind weder fest noch linear; die umkreisen einander und verweben sich miteinander, wirken aufeinander. Einer isoliert beobachteten Gestalt begegnet man anders, wenn sie mit einer zweiten Form zusammenhängt. Die Farbtöne betonen einige Linien mehr als andere; anatomische Einzelheiten gehen verloren und werden wieder miteinander verflochten. Am Ende haben wir ein einzelnes Gemälde, die Kulmination aller Untersuchungen. Und für die Künstlerin ist sogar dieses Bild vielleicht unvollkommen, bleibt noch eine offene Frage, und zumindest auch nur ein Schritt zur nächsten Frage. Jedes Bild ist eigenartig und doch nicht: Jedes Bild entwickelt sich aus und inmitten anderer Bilder. Es ist der Kunsthistoriker, der nachträglich, in seinem Kategorisierungseifer, eine Trennung aufdrängt. Unsere Kategorien wählen willkürlich Gemälde als autographisch aus, wenn es nicht zu befremdlich ist, sie als veränderliche und lebendige Vorgänge zu konzipieren.

Édouard Vallet, Femmes endormies

Eine Kopie eines Gemäldes strebt nach einer äußerlichen Ähnlichkeit und mag sogar erfolgreich sein. Wir sind aber nicht damit zufrieden: Wir spüren ein Trennen, das die Oberfläche nicht verriet. Wir kehren zu unserer neu geformten Frage wieder zurück— worin liegt die Fälschung? Es liegt in keiner tief verborgenen Erkenntnis, sondern in der abrupten Unterbrechung des Gedankenprozesses der Künstlerin. Wir schätzen eine Fälschung nicht, weil sie ungestützt vom Gedanken steht. Und zwar würde ich behaupten, dass dies an der Oberfläche doch sichtbar ist, wenn man mit den Bewegungen einer Künstlerin vertraut ist. Die Künstlerin zieht ihre Hand über die Oberfläche in einer eigenartigen Linie; jede Erforschung weicht von den anderen sanft ab, ohne diesen Charakter abzuschaffen. Jede neuentdeckte Harmonie ist eine Ausbreitung oder vielleicht eine Verfeinerung von einer Konstellation von Farben, die langfristig vor den Augen der Künstlerin geschwebt hat. Der Fälscher nimmt nicht an diesem lebenslangen Ineinandergreifen von Künstlerin und Welt teil. Der Fälscher offenbart eher seinen eigenen Denkprozess (vergl. Slaby, 2014, über Empathie und Handlungsfähigkeit). Er zeigt seine Ungeschicktheit indem er das Gelb des Firnisses oder die Schäden sklavisch und gedankenlos reproduziert. Er betrachtet das Gemälde als ein vollkommenes Erzeugnis, was seine einfältigen Entscheidungen höchst klar machen. Die Fälschung ist von einer echten Begegnung mit der Welt getrennt. Der Fälscher übte seine eigene Handlungsfähigkeit nicht aus.

Der Nachahmer hingegen produziert keine Fälschung, genau weil er erstens die Gedanken der Künstlerin einzutreten versucht, und zweitens diese Gedanken in seinen eigenen Gedankenprozess integriert. Er erweitert seine Gedanken, indem er mit der Künstlerin zu denken versucht. Rubens kopiert Tizian, nicht um ein Tizianerzeugnis zu besitzen, sondern um die Gedanken von Tizian in Besitz zu nehmen. Rubens bleibt aber zuversichtlich in seinen eigenen Gedanken. Seine Kopien zeigen die Verschmelzung von Gedanken—die unverwechselbaren Lippen und Augen seiner flämischen Frauen vermischen sich nahtlos mit der leuchtenden Haut in ihrer schönen Tizian’schen linearen Vereinfachung.

Tizian, Mädchen im Pelz, Wien

Rubens, Mädchen im Pelz, Brisbane

Eine Fälschung, wie Goodman sie versteht, stützt sich auf das platonische Verhältnis zwischen Urbild und umkreisenden Bild. Eine Fälschung ahmt dementsprechend ein Original nach, und dazu unvollkommen. Wenn die Gedankenreihe anstatt der Person betont wird, der lebendige Vorgang zwischen Künstlerin und Kunstwerk und Welt (das Werdende) anstatt des Erzeugnisses (das Seiende), verlagert sich der Sinn von Fälschung. Sie ist nicht mehr eine bloß misslungene oder täuschende Kopie, die nicht mit dem angeblichen Ursprung verbunden werden kann. Eine Fälschung ist vielmehr eine Kopie die den entscheidenden Vorgang umfährt, um ein bloßes Ende zu reproduzieren. Der Fälscher nimmt nicht am Vorgang teil und er gliedert die Gedanken des Anderen nicht ein. Er unterbricht die Serie und löst einen Teil davon ab. Als Gemälde mag das Resultat noch technisch und ästhetisch schön sein, aber es fehlt die suchende Qualität der Striche, die eingeübte Zuversicht, der unverkennbare Schwung einer Linie, der es nicht nur zu dieser Hand aber auch zu dieser lebenslangen Untersuchung verbindet. Genau der Mangel dieser Erfahrungen schwillt zur Oberfläche. Die Fälschung zeigt sich als minderwertig, weil sie sich auf keine fortlaufende Untersuchung baut, weil sie kein ,Knotenpunkt lebendiger Bedeutungen’ ist (Merleau-Ponty, 1966: 182). Sie ergreift keine lebendige Idee, sie greift die Welt nicht an. Sie ist eine totgeborene Idee, die nach dem Unmöglichen sucht: Identität.

Nach Veronese

 

Deleuze, Gilles. (1993 [1969]). Logik des Sinns. Übersetzung von Bernhard Dieckmann. Frankfurt (Main): Suhrkamp.

Foucault, Michel. (1974 [1973]). Dies ist keine Pfeife: Mit zwei Briefen und vier Zeichnungen von René Magritte. Übersetzung von Walter Seitter. München: Carl Hanser.

Gleizes, Albert, und Jean Metzinger. (1988 [1912]). Über den ,Kubismus.’ Übersetzung von Fritz Metzinger. Frankfurt (Main): Fischer.

Goodman, Nelson. 1972. Problems and Projects. Indianapolis: Bobbs-Merrill.

Goodman, Nelson. 1976. Languages of Art: An approach to a theory of symbols. Indianapolis: Hackett.

Goodman, Nelson. 1978. Ways of Worldmaking. Indianapolis: Hackett.

Merleau-Ponty, Maurice. 1966 [1945]. Phänomenologie der Wahrnehmung. Übersetzung von Rudolf Boehm. Berlin: Walter de Gruyter.

Plato. (1988). The Republic, 2nd edition. Translated by Desmond Lee. London: Penguin.

Plato. (1984). The being of the beautiful : Plato’s Theaetetus, Sophist, and Statesman. Chicago: University of Chicago.

Plato. (1976). Timaeus and Critias. Translated by Desmond Lee. Hammondsworth, England: Penguin.

Slaby, J. (2014). Empathy’s Blind Spot. Medicine, Health Care and Philosophy, 17, 249-258.

Rivière, Jacques. (1966 [1912]). ,Gegenwärtige Strömungen in der Malerei,’ in Der Kubismus, Ed. Edward Fry. Köln: DuMont Schauberg.

De Wyder, Bernard. 1976. Vallet, Édouard: Exposition et catalogue, sous les auspices du Musée d’art et d’histoire de Genève. Genève: Musée Rath.

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